Abfall ohne Entsorgung

Rainer Nowotny   16.03.2021

Das eigentlich große Problem unser heutigen Zeit ist die Entsorgung. Es gibt derzeit keine langfristigen Konzepte zur Entsorgung von: asbesthaltigem Bauschutt, formaldehydhaltigen Platten, geschäumten Kunststoffen, Verbundbauteilen mit Glas- und Carbonfasern. Es besteht auch keine Aussicht, dass sich daran etwas ändern wird. Der immense Anfall von Altprodukten, deren Zerfallszeit in keinem Verhältnis zur Überproduktion steht, mahnt. Viele Produktionslinien, insbesondere petrochemischer Erzeugnisse, begleitet die Sorge um die verschlissenen oder zerstörten Reste. Die Berge von Müll offenbaren den Widerspruch zwischen dem freien Wachsen der Industrieproduktion und der mangelnden Entsorgung der überproduzierten Erzeugnisse sowie jene, die für eine Inverkehrbringung der Überproduktion zunächst entsorgt werden müssen. Entsorgen heißt aber erstens: Zurückführen oder Zurückbauen, zweitens: Trennen und drittens: für die Einbettung in den Kreislauf Sorge tragen. Es gibt keinen Ansatz, in der Erde vergrabene kunststoffummantelte Kupfer- und Aluminiumkabel, Blei-, Asbest- und Polyethylen-Wasserleitungen, Glasfaserkabel, Abwasserrohre und dergleichen irgendwann einmal zu bergen. Sie werden wahrscheinlich ewig den Boden der ehemaligen Industrieländer durchziehen. Bisher wird radioaktiver Müll gesammelt und späteren Generationen überantwortet. Bisher wird Asbest und Glaswoll-Dämmung offen aufgeschüttet, mit Erdaushub bedeckt. Bisher wird Plastik bestenfalls unter besonderen Schutzvorschriften verbrannt. Immer verlässt ein erheblicher Teil der Plastikabfälle den Kreislauf. Große Mengen stammen nicht aus Konsum- oder Verpackungsprodukten, sondern aus verwitterten synthetischen Farbanstichen, geschäumten Baustoffen, Abrieb von Partikeln durch Nutzung usw. Diese gelangen in die Binnengewässer, in das Trinkwasser, bestenfalls in die Weltmeere, wo sie in langen Zerfallszyklen als Mikroplastik in die menschliche Nahrungskette gelangen. Die Halbwertzeit T vieler petrochemischer Polymerwerkstoffe wird temperaturabhängig auf 400 Jahren geschätzt. Die mittlere Lebensdauer eines Plastikartikel ist dann T/-ln1/2 also 577 Jahre. Innerhalb dieser Zeit altern diese in ihrer Innen-Beständigkeit durch den Abbau von Eigenspannung, Nachkristallisation, Phasentrennung bei Mehrstoffsystemen, Aditiv-Wanderung usw. Hinzu kommt die äußere Alterung durch Rissbildung, Abschlag und Angriffe auf die Oberfläche im Einfluss von mechanischer Belastung, Sonne, Sauerstoff, Wasser, Frost usw. Die Zerfallsprodukte von Plastikartikeln sind zunächst kleinere Plastikartikel, später Mikroplastik, Nanoplastik usw. bis zum vollständigen Polymerabbau. Der Zerfall durch Alterung kann mit einer Weiterführung der Produktion von Entsorgungsprodukten nicht mithalten. Selbst im Fall einer Reduzierung der petrochemischen Produktion steigt die Menge der tatsächlichen unkontrollierten Plastikabfälle, also der Plastikmüllberge. Deutlich wird hierbei, dass die Lebensdauer der Entsorgungsprodukte unverhältnismäßig länger als die Akkumulation der Überproduktion ist. Damit ist das Problem der Entsorgung wie auch das Problem der Ressourcenzugänglichkeit stärker wachsend als das Phänomen des unkontrollierten Zerfalls und der unkontrollierten Zerstreuung von Plastikpartikeln bis in das Trinkwasser und die Nahrungsketten. Zu dieser Überholung gesellt sich noch das Wachstum, um die Probleme unlösbar zu gestalten. Mit dem stetigen Wachsen der Entsorgungsunfähigkeit der Gesellschaft und dem ungebremst wachsenden Bedarf an Rohstoffen und Energie findet die Zerstörung des Lebensraumes statt. Seit der zivile Siegeszug der petrochemischen Polymere startete, ist das Wachstum der Herstellung aus Produkten dieser Werkstoffklassen ungebrochen. Aber gesetzt den Fall, es gäbe kein Wachstum, stattdessen ein Einfrieren der Produktionsmenge weltweit, und gesetzt den Fall, ein großer Teil der unbrauchbaren Produkte wird einer sachgerechten rückstandsfreien Vernichtung zugeführt, dann bleibt immer noch ein vielleicht kleiner Teil der Kunststoffe dem freien Zerfall ausgesetzt. Angenommen von der Menge N0 aller jährlich hinzukommenden Kunststoffe werden x% dem freien Zerfall überlassen, also Nx = x * N0 . Aus der Halbwertzeit T = 400 Jahre ist die mittlere Lebensdauer τ ermittelbar: 577 = 400/-ln ½ . Für das Zeitintervall t = 1 Jahr ergibt sich dann für das erste Jahr die Zerfallsmenge von N = Nx * e^(-1/τ) . Jedes Jahr zerfallen Polymerwerkstoffe aus den jeweils zurückliegenden Entsorgungsjahren weiter. Unter der Annahme eines Nullwachstums bliebe N0 alle Jahre konstant. Dann wächst noch nicht zerfallener Restmüll in n Jahren um Σ i=0 n (Nxe^(-i/τ)) . Bei hinreichend langer Zeit entsteht ein petrochemischer Restmüll von Nx * (e^(-1/τ)/(1-e^(-1/τ))) . Wenn die mittlere Lebensdauer auf 577 Jahre gesetzt wird, dann pegelt sich das Gleichgewicht bei Nx576 ein. Würden also 90% allen Kunststoffe ordnungsgemäß entsorgt oder vollständig vernichtet werden, wenn weiterhin die petrochemische Produktion nicht weiterwüchse, dann würde ein stabiler Restmüll entstehen, der das 57-fache der heutigen jährlichen petrochemischen Gesamtproduktion übersteigt. Würde die Gesamtproduktion auf dem Stand von 2020 stagnieren, mit N0 = 370 Mill. Tonnen, davon nur 10% in die Umwelt und die Weltmeere gelangen, also nur Nx = 37 Mill. Tonnen, dann sind bald stabile 21.330 Mill. Tonnen auf dem Erdball verteilt. Selbiger Ansatz gilt auch für in die Erd-Umlaufbahn verlegte Satelliten, von denen sicherlich eine Vielzahl in der Atmosphäre kontrolliert verglühen werden, aber immer auch ein Teil außer Kontrolle geraten wird, um als Weltraumschrott die Erde für die Dauer ihrer mittleren Zerfallszeit zu umkreisen. Gleiches gilt für fast alle industrielle Produkte, die, angenommen es gäbe eine Kreislaufwirtschaft, versehentlich oder fahrlässig aus dieser herausfallen. Lediglich vollständig kompostierbare Produkte sind davon ausgenommen. Hinzu kommt das Wachstum, welches in der Rechnung nicht berücksichtigt wurde. Hinzu kommt noch die Überproduktion. Was könnte helfen? Der komplette Ausstieg aus der Überproduktion, aus der Petrochemie und aus vielen anderen Industriezweigen? Wer nicht verzichten will, muss sich zur Disziplin verpflichten. Disziplin aber bedeutet Verzicht auf Demokratie. Da der Kapitalismus aber weder auf das eine noch auf das andere verzichten wird, und da einzelne Menschen nicht auf Privilegien und Wohlstand verzichten werden, muss es notgedrungen in ein Zerwürfnis führen und in einer Zerstörung enden. Es muss sich der Widerspruch zwischen Disziplin und Demokratie zuspitzen. Die Widersprüche zeitlich zu verschieben, dafür kennt der Neoliberalismus nur die Ansätze: 1. der Ausbeutung von billigen Industriearbeitern ferner Länder, 2. die Ausbeutung von Ressourcen in entfernten Gebieten, 3. Export der Abfälle in ferne Gebiete, 4. irreversible Zerstörung unseres Lebensraumes, 5. Länder und Gebiete, die reich an Bodenschätzen sind, mit Korruption oder Krieg zu überziehen. Nicht etwa Stoffgruppen oder gefährliche Technologien sind das Bedrohliche, sondern die ungezügelte Gier.

Bauabfälle

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