Persönliche Motivation, die Hanffaser-Genossenschaft in eine kollektive Struktur einzubetten

Rainer Nowotny
05.12.2021

Die Geschichte der Hanffaser Uckermark begann 1994/95 mit einer betriebswirtschaftlichen Machbarkeitsstudie und mündete am 01.04.1996 in eine Einmann GmbH. Parallel dazu (1995-1997) begann die Technologiekonfiguration in sehr konstruktiver Zusammenarbeit mit verschiedenen Maschinenbauern, die in eine technische Investition (1996-1998) führte. Mit dem Aufbau der ersten Fertigungsstrecke begann auch die Produktentwicklung und anschließend der Marktaufbau. Es folgte diverses Auf und Ab, bis 2002 nach Umfirmierung die Arbeit als Einzelunternehmen (mit unbeschränkte Haftung) weitergeführt wurde. In den Folgejahren bis 2013 konnten aus Herstellung und Vertrieb die Gründerkredite getilgt und die unternehmerische Position konsolidiert werden. Schließlich 2013, schuldenfrei und etabliert, gelang es endlich, Mitstreiter zu sammeln, die an der Verantwortung teilnahmen, in Form einer Genossenschaft.

In den Jahren der privaten Eigentümerschaft am Unternehmen erkannte ich eine problematische Begrenzung der kooperativen Innovation. Zwar begleitete die Unternehmensgeschichte zahlreiche Innovationen, immer in Kooperationen zustande gebracht, doch erwiesen sich bald Grenzverläufe. Soll der langfristige Erfolg eines Unternehmens auf weit hinaus schauende Neuerungen und Trend verändernde Entwicklungen beruhen, so bedarf es kollektiver Innovation, was auch kollektive Verantwortung verlangt. Verantwortung übernehmen, heißt Führung übernehmen.

Was ist die Aufgabe der Führung, des Vorstandes, des Obmanns - bezogen auf ein Unternehmen? Interessen der Eigentümer zu verfolgen? die Rendite der Aktionäre? die Wünsche der Gesellschafter?
Sollte es nicht vielmehr Verpflichtung sein, das zu führende Unternehmen sicher auf langfristigem Kurs zu halten, das eigentliche Ziel und die höheren Aufgaben streng zu wahren? Eine solche Pflicht müsste im Grundsatz dem Geldabfluss an die Eigentümer widersprechen.

Genossenschaften nach bürgerlichen Recht wie auch Aktiengesellschaften sind vergesellschaftetes Privateigentum, repräsentieren aber kein Gesellschaftseigentum, woraus sich aus kapitalistischer Sicht ergibt, dass die (kapitalistischen) Interessen der privaten Eigentümer (ohne Beschränkung der Allgemeinheit) auf einen möglichst hohen privaten Zugewinn abzielen. Dieser Zugewinn der Eigentümer fließt aber aus dem Unternehmen ab und schwächt dieses folglich.

Neben den "kapitalistischen" Interessen privater Eigentümer gibt es noch deren höhere Interessen wie gesellschaftliche und generationsübergreifende Verantwortung, "Nachhaltigkeit" usw.

Ein finanzieller Abfluss aus dem Unternehmen durch Steuern oder staatliche Abgaben widerspricht ebenfalls der kapitalistischen Form der Aneignung des Zugewinns durch private Eigentümer und stellt demnach quasi eine Form gesellschaftlicher Eigentumsbehauptung dar. Der Abfluss von Zugewinn an die Gesellschaft wird dem Abfluss von Zugewinn an private Eigentümer vorangestellt und ist kraft Staatsgewalt somit die dominantere, wenngleich verschleierte Eigentumsbehauptung.

Nicht kann ein arbeitsloses Grundeinkommen aller Bürger, von einer Kaufmannschaft zur Debatte erhoben, das Trachten eines Produzenten sein, noch sind Aquisedaten und Verbraucherstatistiken für einen Produzenten von geschäftlichem Interesse. Produzenten wollen Halbzeuge oder Produkte herstellen und in die Gesellschaft hineinbringen. Dieses Hineinbringen geschieht in einer Marktwirtschaft über den Markt. Die "gesättigte Marktgesellschaft" freilich bedient sich gesammelter Aquisedaten und Verbraucherstatistiken, um mittel Massen-Manipulation zum Herrscher über Produzenten zu werden.

Größere Gesellschaften kommen nicht an größeren Strukturen vorbei, diese wiederum erlauben eine komplexe Arbeitsteilung, die wiederum Spezialisten für eine Konzentration auf feinteilige Sachgebiete ermöglicht.
Nun geht aber der Gruppenansatz nach Emmy Noether davon aus, dass eine Gruppe mitnichten nur eine Menge von Individuen ist, sondern dass der definierende Bezug einer Gruppe eine Operationsfunktion über einer Indivituenmenge ist.
Zusammenschluss ist wenig, Operationsvermögen erst macht die Gruppe.

Wenn nun Olson die Kollektive nach Größen unterscheidet und daraus resultierend die kollektive Qualität schlussfolgert, so ignoriert er die Noethersche Notwendigkeit der Operationsfunktion für die Gruppenbewertung. Doch weist seine Beobachtung insbesondere in einer Gesellschaft individueller Egoisten auf eine allgemeine Erscheinung, wonach die Motivation des Einzelnen zum Gruppenbeitrag umgekehrt proportional zur Gruppengröße ist (* 22). Demnach wird es unwahrscheinlich, dass Gruppen von Menschen, die ein gemeinsames Ziel haben, sich in die Lage versetzen, dieses Ziel zu erreichen (*21).
Olson und Schüler verkennen die Bedeutung der Moral als Mittel der Unterstellung des Individualismus unter ein Gruppenziel.
Moral steht immer im Streit mit Individualismus.

Für diesen Widerspruch in Gruppen habe ich selbst auch keinen Lösungsweg, zumal: Kreativität erfordert Individualsimus, dem widerstreitend Produktivität erfordert Disziplin.

Wenn die Aufgabe der Gruppe eine niedrige Komplexität hat, dann ist umfassender Chef sinnvoll. Jedoch bei komplexen und sich schnell ändernden Anforderungen ist jeder Chef überfordert, für eine Struktur mitzudenken. Frederic Laloux behauptet gar, dass kein komplexes System mit einer Hierarchie funktioniert (* 23). Oder anders, eine Hierarchie kann eine komplexe Arbeitswelt nicht bewältigen. Der Abbau von Hierarchie muss aber keine Forderung nach Konsens erzwingen.
Konsens ist nur sinnvoll, wenn Zeit keine Rolle spielt. Zur Entscheidungsfindung ist durchaus ein Beratungsprozess geboten; sogar Experten dürfen befragt werden, und jene Arbeiter, die diese Entscheidung umsetzen sollen. Doch eine Verzögerung bringt keine größere Klugheit.

(* 21) Daviter, Gessner, Höland: Selbstverwaltungswirtschaft, Frankfurt 1977
(* 22) Mancur Olson, Logik des kollektiven Handelns, Tübingen 1968
(* 23) Frederic Laloux, Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit, München 2015