Fraktale Geometrie der Hanffasern

Rainer Nowotny
Rainer Nowotny


1. Vorbetrachtung

Als bekannt wird der Aufbau des Bastes, aus seinem Wuchs im Pflanzenstängel resultierend, in die Bastkategorien Elementarfaser, Faserbündel, Faserkollektiv eingeteilt, vorausgesetzt.

Bekannt ist auch der Aufbau der Elementarfasern aus Fibrillen.

Weiterhin sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Langfaserschwinge und Kurzfaserwirraufbereitung vertraut.

In der Abhandlung seien die Module Brecher und Schwinge in beiden Technologien auf eine Stufe gestellt. Weiterhin wird dem Hecheln der Langfaseraufbereitung das Kardieren, Öffnen oder Aufschließen der Kurzfaseraufbereitung gleichgestellt und als bekannt voran gesetzt.

Unter einer Fibrillierung von Bastfasern ist zu verstehen:

1. Eine Auffaserung des Faserbündels, bei der einzelne Elementarfasern an wenigstens einer Stelle die Haftung mit dem Faserbündel, meist durch einen Faserriss verursacht, aufgeben, ohne jedoch das Faserbündel gänzlich zu verlassen.

2. Ein Herauslösen von Fibrillen an aufgerissenen Elementarfasern.

Zwischen diesen Möglichkeiten wird im weiteren nicht unterschieden (Bild 1).

Eine solche Fibrillierung wird insbesondere dann erzielt, wenn eine mechanisch starke Bearbeitung an einer Sollbruchstelle das Reißen oder Aufreißen der Elementarfaser verursacht. Reißen alle Elementarfasern eines Bündels in unmittelbarer Nähe auseinander, bewirkt dieses eine Einkürzung. Für ein Herauslösen von Fibrillen gilt äquivalentes.


Bild 1: Modell des Auffaserns durch aggressive Bearbeitung

Folgerung:

Soll eine Fibrillierung des Bastes erreicht werden, sollte ein Einkürzen nur auf dem Wege des Reißens, nicht aber durch Schneiden erfolgen.

Bemerkung:

Traditionell wurde Hanf für besonders stark zu beanspruchende Werkstoffe verwandt:

Taue, Seile, Militärtextilien, Segeltuche etc. Dabei trat zu Tage, dass nach einiger Beanspruchung die Widerstandsfähigkeit der textilen Verbindung wuchs: Resultat einer "nachträglichen" Fibrillierung des Langfaserbastes unter großer Beanspruchung im Einsatz.


Bild 2: Schwinge mit Depressor und Aggressoren
Bild 3: Öffner mit Depressor und Aggressoren



Diese Bastfibrillierung unter Verzicht der Länge wird in einer Wirrfaseraufbereitung bereits im Faserrohmaterial sichergestellt, wobei die Wirrfaserschwingmodule (Bild 2) und die Wirrfaseröffnung (Bild 3) jeweils funktionelle Einheiten von Schäbenausreinigung, Einkürzen an Sollbruchstellen und Fibrillieren des Bastes darstellen. Infolgedessen zerfasert der Bast äquivalent zur Entholzung und zur Einkürzung ehemals langer Fasern, wobei eine Verfeinerung des Bastes einher geht, welche jedoch für diesen Ansatz vernachlässigt werden soll.



2. Geometrisches Modell einer fibrillierten Bastfaser

Ausgehend vom erreichbaren Ziel einer idealen Aufbereitung, unter der wir eine hinreichende Verarbeitungskette verstehen wollen, die das Bastfasermaterial ungleichmäßig, aber stark derart bearbeitet, dass (gedacht) alle Bastfaserbündel ungleichmäßig und hinreichend fibrilliert sind, d.h. es existiere keine ausgezeichnete Bündelstelle und keine unfibrillierte Faserstelle eines Einzelbastes, soll nunmehr ein geometrisches Modell hierfür entwickelt werden.

Die Einkürzung des Stapels kann für die Modellierung vernachlässigt werden, wenn folgende Iteration It beschrieben wird:

(i)    Ein Faserkollektiv Φ von m Faserbündel je n Elementarfasern mit n*m -> ∞ sei gegeben.

(ii)   l ist die Länge von Φ, so wird auf l' = rnd(0,l), wobei rnd(a,b) aus einer gegebenen reellen Zufallsverteilung auf dem offenen Intervall (a,b) in einem Iterationsschritt gemäß der Verteilung eine zufällige Variable erwählt, eine Sollbruchstelle einer Elementarfaser
m' = rnd(1,m) aus n' = rnd(1,n) definiert, so dass die Elementarfaser m'*n' an der Stelle l' auf einem Faserbereich r ∈ (0,l) zerfasert.

(iii) Zerfasert eine Elementarfaser an l' ≈ 0 oder l' ≈ l, so wird der Faserrest der Restlänge < r/2 entfernt.


Bild 4: Iterativ erzeugte Hanffaser für r -> 0 und r >> 0.

Offensichtlich muss für r -> 0 selbst bei Iterationen >> m*n der Bast nicht notwendig eingekürzt werden, da die Wahrscheinlichkeit des Zusammentreffens oder der unmittelbaren Nachbarschaft mehrerer Sollbruchstellen von Elementarfasern gegen Null geht, vorausgesetzt r->0, welches jedoch in der Praxis insbesondere bei Rösthanf nicht unbedingt erreicht wird.

Im Resultat entsteht ein zerfaserter Bast mit k ≤ 2j Zerfaserungen, wenn j die Iterationszahl ist:
F = Itj (Φ)

Dieses Modell geometrisch zu beschreiben, wird gemäß |1| von einer Überdeckung der Faser F ausgegangen:

Hsδ (F) = inf { ∑i=1 | Ui |s ; { Ui } ist eine δ - Überdeckung von F}
ist Hausdorffmaß, wobei eine Überdeckung { Ui ; i ∈ Iδ } , Iδ ist Indexmenge der δ - Überdeckung von F, dann erfüllt ist, wenn ∀ x ∈ F : ∃ i ∈ Iδ mit x ∈ Ui .
{ Ui } ist eine δ - Überdeckung, wenn ∀ i ∈ Iδ : ∀ x,y ∈ Ui : || y - x || ≤ δ .

Nach Hausdorff |1| existiert nun für Hs(F) = limδ-> 0 Hsδ (F)
ein D ∈ R mit
Hs(F) = {   ∞, falls s < D
           {   0, falls s > D

D heißt Hausdorffdimension von F:

dimH F = inf { s : Hs(F) = 0 } = sup { s : Hs(F) = ∞ }

Für den Fall, dass dimHF ∉ N wird nach Mandelbrot F als fraktales Gebilde oder Fraktal bezeichnet (vgl. |3|).


Theorem:
           Die oben iterativ erzeugte "fibrillierte Hanffaser" ist ein Fraktal.

Es genügt zu zeigen, dass dimHF > 1, setzt man die Plausibilität dimHF < 2 und die Annahme, dass der Faserquerschnitt zu vernachlässigen sei, vorweg.

Gebilde wie Cantor-Staub, Sierpinski-Dreiecke o.ä. werden z.B. mit einer quadratischen Überdeckung der Seitenlänge d einer Anzahl N untersucht, wobei
dimH F = limd->0(ln N(d) / ln 1/d)

Für Küstenstreifen existiert das berühmte Beispiel von Richardson, wonach
Hδ(F) = α*δ(1-dimHF)

Bei der Untersuchung einer fibrillierten Hanffaser, im weiteren kurz Faser genannt, soll ein Umweg begangen werden. Ziel soll es sein, Aussagen über die Hausdorffdimension zu erhalten, ohne diese direkt zu ermitteln.

Der hausdorffsche Ansatz wird verlassen, und betrachtet wird eine stetige Faser, nach der Iteration It partiell zwei- und dreidimensional zerfasert.

Sei { Ui } eine δ - Überdeckung von F mit |Ui| ≤ δ (abgeschlossene Überdeckungsmengen).

Offenbar ist: ∀ i ∈ Iδ : ∃ Fi mit Fi = F ∩ Ui

Vermutet wird, dass Fi zu F ähnlich ist, und damit Aussagen über Fi gleichfalls fern liegen.
So beschränkt sich die Vorgehensweise auf die Schnittpunkte der Faser mit den Rändern der Überdeckungen, sofern von abgeschlossenen Überdeckungsmengen ausgegangen wird:

∀ i ∈ Iδ : ∃ Ri   Rand von Ui wobei gilt:

(i)    Ri ⊆ Ui

(ii)   ∀ x ∈ Ui / Ri & ∀ y ∈ Ri : || y - x || < δ

(iii) ∀ x ∈ Ri : ∃ y ∈ Ri : || y - x || = δ

Ferner ist Si = F ∩ Ri = Fi ∩ Ri   (Menge der Schnittpunkte der Faser mit dem Rand eines Überdeckungselementes).

Offenbar kann Si = ∅ oder || Si || ≥ 1 sein. Wenn jedoch F eine stetige Menge und die Überdeckung echt ist:
∀ Ui(i ∈ Iδ) : ∃ x ∈ Ui mit x ∈ F,
so gilt: Si ≠ ∅ .

Von Interesse ist es im Weiteren, welchen Einfluss die partiellen zwei- und dreidimensionalen Zerfaserungen haben.

Es sei:
di = {    1 , || Si || ≤ 2 ;
           {   2 , || Si || > 3 & Si ist Teil einer Ebene
           {   3 , || Si || > 3 & Si ist nicht Teil einer Ebene

Demnach existieren für eine Überdeckung { Ui} drei Mengen
D1 = { i , i ∈ Iδ & di = 1},
D2 = { i , i ∈ Iδ & di = 2},
D3 = { i , i ∈ Iδ & di = 3},

So ist   d ∈ N x N x N derart, dass   d = (d1 ,d2 ,d3)

mit d1 = || D1 ||,    d2 = || D2 || ,    d3 = || D3 || .

Für jede Überdeckung { Ui } von F existiert ein derartiges d(F), wobei d1 + d2 + d3 = || Iδ || .

Es sei eine Folge ( δj ) mit δj -> 0 und ( δj ) streng monoton, beliebig aber fest gegeben.

Für jedes j ∈ N existiert eine δj - Überdeckung { Uji } von F.

So beschreibt jedes j ∈ N ein Tripel dj = ( dj1 , dj2 , dj3 ) ∈ N x N x N der oben beschriebenen Art.
Die Zahlenfolge ( δj ) beschreibt nun wohldefiniert eine Folge von δj - Überdeckungen { Uji } von F und gleichsam eine Folge ( dj ).

Offenbar gilt für eine nicht verschwindende, stetige Faser:
lim j->∞ (dj1 + dj2 + dj3 ) = ∞ .

Wie man leicht sieht, gelten nachfolgende Zusammenhänge:

Lemma 1:
Für die Zerfaserung Itj(Φ) einer stetigen Faser Φ, || Φ || = 1, mit k -> ∞ gilt:
limj->∞ (dj2 + dj3 ) = ∞ .

Lemma 2:
Für eine stetige Faser F = Itj (Φ) mit limj->∞ (dj2 + dj3 ) = ∞ gilt:
dimH F > 1.

Folglich gilt das Theorem.

Ist die Hausdorffdimension von F größer 1, so ist die Faser nach Mandelbrot ein Fraktal.

Im Einzelfall ist also die Voraussetzung der Behauptung für reelle Hanffasern zu prüfen, wobei es nicht schwer fallen wird, einen Entscheidungsalgorithmus bei geeigneter optischer Apparatur zu wählen, der Urteile darüber erlaubt, inwieweit eine Fibrillierung der Hanffaser erfüllt ist.

Folgerung:
Eine Hanffaser, für die die Vorraussetzung der Fibrillierung gemäß Iteration It erfüllt ist, ist ein Fraktal der Hausdorfdimension dimH F > 1.




Rainer Nowotny
aus: Besonderheiten von Hanffasern aus aggressive Wirrfaseraufbereitung
in: 2nd International Wood and Natural Fibre Composites Symposium; Kassel/Germany 1999